Montag, 19. Dezember 2011

Schon wieder Netto

Heute habe ich einen Newsletter von Netto bekommen. Warum auch immer. Ich habe jedenfalls keinen angefordert. Vielleicht ist das auch nur eine Charme-Offensive von Netto, um mich gefügig zu machen. Aber dafür sind die Angebote nicht überzeugend genug (schließlich sind wir alle irgendwie am Portemonnaie zu packen, aber es kommt dann schon auf den Preis an).
Wie auch immer: Der Kampf geht weiter, und irgendwann kriegen wir sie weichgekocht.

Hier meine Antwort an Netto:
Am 18.12.2011 um 19:12 schrieb Netto Newsletter:


Sie möchten keine Netto-Newsletter mehr über n.use.cc erhalten?

Ganz im Ernst: Ich möchte keinen Netto-Newsletter mehr erhalten!

Ich habe mittlerweile in zwei Filialen Hausverbot. In Nörten-Hardenberg und in Göttingen in der Güterbahnhofstraße. Und das nicht etwa, weil ich was geklaut habe, sondern weil ich als Göttinger SPD-Vorsitzender an berechtigten Aktionen meiner Gewerkschaft ver.di gegen die skandalösen Arbeitsbedingungen und die lausige Bezahlung bei Netto teilgenommen habe. Und anstatt diese Verhältnisse zu ändern, schreibt mir Herr Franz Pröls von der Netto-Geschäftsleitung einen Brief und faselt etwas von "humanen Arbeitsbedingungen", wobei er allerdings die Haus- und Parkplatzverbote als "adäquates Mittel" bezeichnet.

Nee, Leute. Solange sich nichts ändert, brauche ich euren Newsletter nicht. Und wenn ich mal bei Netto reingehe, dann nur, um zu testen, ob euer feiner Herr Eicke auch wirklich in der Lage ist, das Hausverbot durchzusetzen. (Ist er übrigens nicht, ich kann immer unbehelligt meine zwei bis drei Dinge einkaufen, ohne rauszufliegen. Das nenne ich dann mal Versagen auf ganzer Linie. Ihr solltet euch von ihm trennen.)

Sollte ich noch jemals einen Newsletter von Netto bekommen, ohne diesen ausdrücklich angefordert zu haben, werde ich mir gerichtliche Schritte überlegen.

In diesem Sinne mit wenig freundlichen Grüßen

Horst Reinert

Mittwoch, 30. November 2011

Telekom unter Druck setzen

Gestern bei Netto ging es um schlechte Arbeitsbedingungen und lausige Bezahlung, heute ging es um Arbeitsplätze: Betriebsversammlung der 130 MitarbeiterInnen von Teldas.
Zu den Hintergründen gibt es eine gute Zusammenfassung:
http://www.goest.de/telekom.htm
Fakt ist, dass die Schließung zum Jahresbeginn 2012 ins Haus steht und keine großen Chancen bestehen, diese zu verhindern, obwohl, damals in den Verträgen von der Telekom Aufträge bis Mitte 2013 zugesagt wurden.
Fakt ist aber auch, dass die Kolleginnen und Kollegen von Teldas nach wie vor nicht resigniert haben und weiterhin bereit sind, um ihre Arbeitsplätze zu kämpfen. Ronald Schminke und ich waren da und haben gezeigt, dass die SPD sie bei diesem Kampf unterstützen wird.
Die Telekom hat damals die Beschäftigten „verkauft“ und muss nun in die Pflicht genommen werden, sie wieder zurückzunehmen. Arbeit ist schließlich vorhanden. Dafür werden wir mit dem Betriebsrat und mit ver.di Aktionsformen entwickeln müssen, um die Telekom unter Druck zu setzen. Bei Netto hat es sich gezeigt, dass die Verantwortlichen durchaus nervös werden können, wenn Druck durch Öffentlichkeit ausgeübt und dieser Druck nach und nach verstärkt wird. Das muss auch mit der Telekom so gemacht werden.
Auch wenn der Teil der Beschäftigen, die Beamte sind, weiterbeschäftigt werden muss, so wird dies mit Sicherheit nicht in Göttingen, sondern an anderen Standorten geschehen. Die übrigen, also die Angestellten, werden in die Arbeitslosigkeit entlassen.


Die Kommunalpolitik darf jedenfalls nicht immer nur irgendwelchen „Investoren“ rote Teppiche ausrollen, weil sie einige mehr oder weniger qualifizierte Arbeitsplätze in der Stadt schaffen. Wir müssen uns auch stärker dafür engagieren, dass qualifizierte Arbeitsplätze wie bei Teldas erhalten bleiben. Resolutionen reichen da nicht.
Der Kampf geht weiter, und wir werden dabei sein. Oder, wie es in einem Lied der Kölner Band BAP heißt: „Arsch huh, Zäng ussenander!“



Dienstag, 29. November 2011

Betreutes Einkaufen bei Netto

Es reicht nicht, auf Parteiversammlungen wuchtige Resolutionen zu verabschieden und die Solidarität der SPD mit den Beschäftigten von dieser oder jener Firma im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen oder zum Erhalt der Arbeitsplätze zu bekunden. Wir müssen auch mitmachen.
So geschehen heute, und zwar mal wieder beim „Markendiscounter Netto“. Das war für mich in diesem Jahr schon die Dritte Netto-Aktion, diesmal in Nörten-Hardenberg, und mit Abstand die kurioseste. Aber der Reihe nach:
Zuerst sollten ein paar Leute schon mal in den Laden gehen und in den Regalen zwischen der „Trockenware“ kleine Zettel mit Informationen über die schlechten Arbeitsbedingungen bei Netto hinterlegen. Anscheinend führt das Unternehmen eine gut sortierte Foto-Kartei, denn schon als ich mit meinem Einkaufswagen durch die Tür kam, hieß es: „Der erste ist gerade reingekommen.“ Und von da an wurde ich verfolgt. Zwar schaffte ich es anfangs noch, ein paar Zettel zwischen Kaffee, Keksen, Nudeln und Soßenbinder zu hinterlegen, aber meine Verfolgerin hatte das wohl gut beobachtet und nahm die Zettel wieder raus – und ich bekam eine zweite Betreuerin. Die rückte mir so auf die Pelle (übrigens auch, als ich Ware in meinen Einkaufswagen legte), dass ich sie fragte, ob sie mich etwa heiraten wolle. Was sie natürlich entrüstet verneinte.
Versuche, die beiden abzuschütteln, scheiterten an ihrer Hartnäckigkeit. Aber immerhin hatte es ein Kollege, der wohl auch noch nicht in deren Foto-Datei ist, geschafft, fast die gesamte Stunde seine Zettel zu plazieren.
Kurz vor der Kasse wollte ich wenigstens noch ein Foto von den beiden jungen Frauen machen, aber das gefiel denen überhaupt nicht. Sie zogen sich ihre Kapuzen und drehten sich um. Was die eine jedoch nicht daran hinderte, von mir das Löschen des Fotos zu verlangen. („Ich habe gesehen, wie Sie fotografiert haben. Ich habe auch ein iPhone.“) Ich zeigte ihr dann freundlich das Foto, auf dem nur schemenhaft eine Person von hinten mit übergezogener Kapuze zu sehen war. Das Foto habe ich dann zu Hause gelöscht, weil es nix hergibt.
Dann an die Kasse, bezahlen und schnell raus. Vor der Tür stand schon Polizei, einige KollegInnen mit Fahnen und Plakaten … und dieser Netto-Mufti, der uns schon in Göttingen auf die Nerven ging. Er drehte sich zu mir um und sagte: „Sie haben doch schon in der Güterbahnhofstraße Hausverbot. Hier haben Sie jetzt auch Hausverbot.“ Na toll. Ich war ja nicht der einzige, sondern wir alle bekamen Hausverbot erteilt. Natürlich auch für den Parkplatz. Und die beiden juristisch etwas überforderten Polizisten versuchten uns dann ganz höflich zur Straße zu begleiten.
Trotzdem hat sich das einstündige Frieren gelohnt: Die Aufmerksamkeit der KundInnen haben wir bekommen, und viele, die ein Flugblatt in die Hand gedrückt bekamen, sagten, dass sie durchaus über die Zustände bei Netto informiert seien. Und die Marktleiter-Fürsten wissen, dass sie nach wie vor unter Beobachtung stehen.
Der Kampf geht weiter!

Dienstag, 30. August 2011

Zum Ramadan-Fest

‎‫عيد الفطر‬

Mein Redemanuskript zum Ramadan-Fest am 30.8.2011 in der Aula am Waldweg.
(Es gilt das gesprochene Wort)

Zuerst einmal vielen Dank für die Einladung. Es ist mir eine Ehre, hier vor Ihnen sprechen zu dürfen, und ich weiß das zu würdigen.

Ich möchte beginnen mit etwas Persönlichem:
Ich bin von meiner Familie – allesamt Sozialdemokraten und Gewerkschafter –
immer im Sinne von Freiheit und Toleranz erzogen worden. Hierzu ein paar Beispiele:
Ein- oder zweimal im Jahr schlug eine Zigeunersippe (damals kannte man die Begriffe Sinti und Roma noch nicht) für ein paar Tage ihr Lager 100 Meter entfernt von unserem Haus am Fluss auf. Mein Vater ging immer mit mir dorthin und unterhielt sich mit den Menschen, die für mich als Kind schon sehr fremd und exotisch wirkten.
Meinen täglichen Weg in die Grundschule ging ich dann oft zusammen mit einem Klassenkameraden mit dunkler Hautfarbe (damals kannte man außer dem Wort „Neger“ noch keinen anderen Begriff, meinte das aber auch nicht abfällig).
Bei meinem Onkel lernte ich einen seiner besten Freunde kennen – einen Juden.
Als dann die Gastarbeiter nach Deutschland kamen, bekam ich über meinen Vater, der in einer Fabrik arbeitete, Kontakt zu Griechen und Italienern – Türken kamen erst später nach Deutschland. In den Schulferien hatte ich dann die Griechen und Italiener als Arbeitskollegen und habe meine ersten Brocken Italienisch gelernt.
1970 bin ich dann – mit 16 Jahren – in die SPD eingetreten. Mein großes Vorbild war Willy Brandt, und die SPD eine internationalistische Partei.
Im Studium hatte ich zum ersten Mal Kontakt mit Muslimen und habe gelernt, dass diese besondere religiöse Vorschriften zum Beispiel bezüglich der Speisen und Getränke haben. Für uns Nicht-Muslime war es zwar etwas fremd, aber es war auch selbstverständlich, dies zu respektieren.
Jetzt arbeite ich beim Studentenwerk im Kulturbüro und habe fast täglich mit ausländischen Studierenden zu tun: Afrikaner, Russen, Polen, Türken, Südamerikaner, Chinesen, Koreaner.
Und ich erfahre dadurch fast täglich, wie unterschiedlich unsere Kulturen – selbst im Vergleich zu Nachbarländern wie Frankreich oder Österreich – sind. Das ist spannend, lehrreich … und es erweitert den Horizont, also das, was man neudeutsch interkulturelle Kompetenz nennt.
Am letzten Samstag war ich zum ersten Mal beim Fastenbrechen, am Sonntag zum ersten Mal in einer Moschee, ebenfalls zum Fastenbrechen. Auch da habe ich wieder viel gelernt über andere Kulturen und Religionen.
Mein Fazit aus all diesen Erfahrungen ist, dass es wichtig ist, aufeinander zuzugehen, einander zuzuhören und vor allem einander zu respektieren. Bei aller Unterschiedlichkeit in Hautfarbe, Herkunft, Religion und kulturellen Einflüssen. Nur so ist es uns möglich, friedlich und freundschaftlich miteinander – und nicht nebeneinander – zu leben.
Parallelgesellschaften – welcher Art auch immer – darf es in unserem Land nicht geben!
Ein gutes Beispiel für interkulturelle Kompetenz und Akzeptanz ist für mich der Kindergarten des Studentenwerks. Dort gibt es Kinder aus allen Kontinenten, mit allen Hautfarben, mit verschiedenen Religionen. Dort wird Weihnachten genauso gefeiert wie das Zuckerfest und Feste aus anderen Kulturen und Religionen – und es wird den Kindern erklärt, warum das so ist.
Das sollte für uns alle ein Vorbild sein: Gemeinsam die Feste zu feiern und dabei einander besser zu verstehen und das jeweils Andere oder den jeweils Anderen zu akzeptieren, ohne ihn zum eigenen Glauben bekehren zu wollen, denn für mich sind Glaube und Religion Dinge, die nachrangig sind. Mir ist es egal, ob jemand Jude, Atheist, Christ, Moslem oder Hindu ist oder noch an die sogenannten heidnischen Götter glaubt. Wichtig ist der Mensch, nicht seine Religion oder Hautfarbe oder geografische Herkunft.
Und deshalb steht auch in unserem Wahlprogramm:
„Göttingen ist eine weltoffene Stadt. Menschen aus allen Kontinenten und vielen Kulturen leben hier. Unabhängig davon, ob sie in Göttingen arbeiten, studieren, zur Schule gehen oder als Familienangehörige hier leben: Sie alle sind uns willkommen, denn sie bereichern das Stadtleben und beleben die kulturelle Vielfalt in unserer Stadt. Darum bedeutet Integration für uns das gleichberechtigte Miteinander. Für Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Faschismus ist in unserer Stadt kein Platz.“

Manche würden jetzt vielleicht sagen: „Schön und gut, aber ihr habt auch den Sarrazin in eurer Partei, der sich ziemlich abfällig über manche Ausländer und insbesondere über Muslime geäußert hat.“
Stimmt. Der ist leider noch Mitglied der SPD. Aber bei so einem hört bei mir die Toleranz auf.
Und eins kann ich ihnen mit voller Überzeugung sagen: Hier bei uns in Göttingen wäre dieser Mann längst aus der Partei geflogen, denn Sarrazins Positionen sind überhaupt nicht vereinbar mit denen der Göttinger SPD. Das können Sie alleine schon an unseren Kandidatinnen und Kandidaten sehen, von denen einige – wenn auch noch nicht genug – einen Migrationshintergrund haben.

In diesem Sinne bitte ich Sie:
- Mischen Sie sich ein in unserer Gesellschaft
- Werden Sie politisch aktiv (am besten natürlich in der SPD)
- Gehen Sie am 11. September zur Wahl (und wählen am besten die SPD und ihre Kandidatinnen und Kandidaten)
Danke


Mittwoch, 15. Juni 2011

Das Danaer-Geschenk der Landesregierung

Mit dem „Zukunftsvertrag“ in die Falle

Alle Schulden weg, auf einen Schlag – das klingt verlockend. Und in den nächsten Jahren einen ausgeglichenen Haushalt abliefern – auch das eine Sache, die sich viele oder gar alle Wünschen. Die Landesregierung hat mit ihrem „Zukunftsvertrag“ jedenfalls viele zum Nachdenken gebracht, und manche mittlerweile schon auf die Palme, wenn sie nur daran denken, was das für Auswirkungen für die Stadt Göttingen haben könnte.

Die CDU war schon immer gegen Verschuldung; Sozialpolitik, Soziokultur, Bildung, Frauenhaus und dieses ganze „Gedöns“ waren auch nie deren Ding. Und irgendwas verkaufen (Stadtwerke, Städtische Wohnungsbau) fanden die auch nie schlecht. Also sind sie selbstverständlich dafür.

Dass Die Linke schon immer gegen alles (und jede Kürzung, egal wo) ist, ist nicht neu. Die sind aber auch nicht in der Verantwortung, ernsthafte Vorschläge für Gegenfinanzierung zu machen. Der Ruf nach Verstaatlichung der Banken und Enteignung der Kapitalisten hilft jedenfalls gerade nicht weiter.

Diejenigen, die es sich leisten können, grün zu wählen, können auch höhere Preise fürs Theater zahlen und ihr(e) Kind(er) notfalls auf eine Privatschule schicken. Die klassischen Grün-WählerInnen könnten also Kürzungen durchaus verkraften und würden über eine Schließung zum Beispiel der musa auch nicht in Tränen ausbrechen.

Und die FDP? Die wollte schon immer privatisieren und das Tafelsilber verkaufen, um einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Andererseits: Wer würde denen noch eine Zukunft voraussagen?

Bleibt mal wieder die SPD, die anfängt, erstmal alles abzuwägen, durchzurechnen und auf den Prüfstand zu stellen, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Dass wir uns in der Zwischenzeit schon mal üble Beschimpfungen anhören müssen, weil wir angeblich schon längst die eine oder anderer Entscheidung getroffen haben, daran haben wir uns mittlerweile gewöhnt. Die meisten wollen (und können) wohl nicht verstehen, dass wir uns mit solchen Entscheidungen schwer tun.

Wie auch immer: Mit der Entscheidung, sich die Option offen zu halten, ist nichts weiter beschlossen als … sich die Option offen zu halten. Wäre ja blöd, gleich nein zu sagen und nach langer Diskussion feststellen zu müssen, dass es vielleicht doch besser gewesen wäre, sich auf den „Zukunftsvertrag“ einzulassen. Denn eins ist klar: Wenn sich die Stadt nicht auf das Angebot einlässt, bedeutet das noch lange nicht, dass alles so weitergehen kann wie bisher, wenn nicht gerade die Steuereinnahmen plötzlich sprudeln oder ein Märchenprinz kommt, der die Schulden bedingungslos übernimmt. Für alle Varianten müssen verlässliche Zahlen und Zeitpläne vorgelegt werden, denn nur aus einem Gefühl heraus sollte nicht entschieden werden.

Der Realist ist Pessimist, und deshalb lautet für mich die Frage eigentlich nur: Was ist schlimmer? Gleich massive Einschnitte zu machen oder langsam und stetig – oder im günstigsten, wenn auch nicht wahrscheinlichen, Fall auch gar nicht – ans Eingemachte gehen?
Und: Wer soll die Entscheidung darüber treffen? In welcher Form? Und wer entscheidet im Zweifelsfall, was in welcher Höhe an welchen Stellen gekürzt wird oder wie Mehreinnahmen generiert werden?

Wenn die SPD in ihrem Wahlprogramm mehr Bürgerbeteiligung fordert, wann, wenn nicht über den „Zukunftsvertrag“? Eine Bürgerbefragung wie im Fall der Südspange scheint hier sinnvoll zu sein, zumal sich dabei die Vernunft durchgesetzt hat. Ob vor, mit oder nach der Kommunalwahl, sollte sorgsam überlegt werden. Eine Befragung kann und darf jedenfalls erst durchgeführt werden, wenn alle Szenarien und alle Zahlen auf dem Tisch liegen und den Leuten auch klar ist, worüber und mit welchen Konsequenzen sie letztendlich abstimmen.

Den Befürwortern einer Bürgerbeteiligung (und dazu zähle ich mich auch) sollte dabei klar sein, dass diese unter Umständen zu Ergebnissen führen könnte, die manche nur schwer verkraften würden, insbesondere, wenn man auch über einzelne größere Summen abstimmen ließe. Ob GSO oder musa danach noch existieren würden, lässt sich durchaus bezweifeln. Ebenso könnten unser Busnetz, die Freibäder, Jugendzentren usw. unters Fallbeil der Mehrheit kommen. Ich vertraue jedenfalls nicht blind auf Schwarmintelligenz, und das wird auch eine Entscheidung schwer machen, in welcher Form und in welchem Umfang abgestimmt werden soll.

Die SPD sollte schon jetzt klären, wo die Schmerzgrenze ist, denn sowohl Privatisierungen als auch Einschnitte bei der Daseinsvorsorge sollten für uns tabu sein, genau so wie das Planieren der Kulturszene. Dann vielleicht doch lieber eine City-Maut einführen oder eine Steuer auf Plastiktüten. Oder eben keinen „Zukunftsvertrag“.

Einfache Rezepte gibt es derzeit jedenfalls nicht, ein „Weiter so!“ auf Dauer aber wohl auch nicht. Politischer Gestaltungsspielraum wird mit oder ohne „Zukunftsvertrag“ nicht wachsen. Wer etwas anderes behauptet, vernebelt die Hirne der WählerInnen. Jetzt hilft nur noch Dialektik. Und Ehrlichkeit. Auch wenn’s weh tut.

Dienstag, 24. Mai 2011

Der Northeimer Kessel – Versuch eines Protokolls

Nachstehend lediglich das, was ich am 22.5. erlebt habe und wie ich es erlebt habe. Ich verzichte dabei auf die Darstellung von Berichten Dritter über Geschehnisse, die ich nicht selber gesehen habe.

Sonntagmorgen, die Sonne scheint, also gutes Demo-Wetter. Für die Fahrt nach Northeim gibt es drei Optionen: Fahrrad, Auto, Zug. Fahrrad entfällt wegen der ungünstigen Wetterprognose für den Nachmittag, Auto kommt allein schon aus ökologischen Gründen nicht in Frage, also auf zum Bahnhof, um mit meiner „Bezugsgruppe“ aus Jusos und SPD-Mitgliedern gemeinsam zur Demo zu fahren.
Bereits vor dem Bahnhof wartet die Polizei auf die DemonstrantInnen. Ich komme unbehelligt durch, wohl weil ich nicht ins Raster passe: zu alt, weißes T-Shirt, weiße Turnschuhe, kurze Hose – sehe selbst mit meinem schwarzen Rucksack eher aus wie ein Wochenend-Ausflügler. Also erstmal durch. Anderen geht es schlechter. Sie müssen ihre Rücksäcke öffnen und kontrollieren lassen. Die passen aber auch ins Raster: dunkel gekleidet und unter 25. Für die Polizei reicht das offenbar schon, um als potentieller Gewalttäter zu gelten.
Im Zug trotzdem gute Stimmung. Ein paar Hundert Menschen mit Fahnen und Transparenten. Grüne, SPDler, Linke, Gewerkschafter, Unorganisierte, Antifa, Alte und Junge.
Am Bahnhof Northeim kommt dann das große Staunen: In zwei dicht5 gedrängten Reihen wartet die Polizei auf uns. Kein durchkommen, alle sollen ihre Rucksäcke öffnen. Ohne Kontrolle kommt niemand durch zum Versammlungsort. Doch niemand ist bereit, diese Prozedur über sich ergehen zu lassen, vor allem, weil einige ohnehin schon mal ihren Rucksack öffnen mussten.

Ich sehe, wie Viola von Cramon (MdL, Grüne) mit dem Einsatzleiter spricht, und gehe dazu, sie zu unterstützen. Der Mann ist leider für kein Argument zugänglich, dabei aber immerhin (und bis zum Ende) recht freundlich. Diese Szene wird sich in den nächsten Stunden mehrfach wiederholen. Immer wieder versuchen wir und ein paar andere, an Logik und Vernunft zu appellieren. Vergeblich.
Nach einer Stunde wird die Stimmung leicht gereizt. Das lange Stehen in der Sonne macht manche mürbe. Die Demo-Teilnehmer sind überwiegend luftig gekleidet, doch den PolizistInnen dürfte mittlerweile der Schweiß in die Stiefel laufen. Es gibt erste Rangeleien an der Spitze des nach wie vor formierten „Schwarzen Blocks“. Und immer wieder die Lautsprecherdurchsage, dass wir doch schließlich alle gehen könnten, wenn wir nur unsere Rucksäcke durchsuchen lassen würden. Die Personalien würden nicht festgestellt, so die Zusage. Komisch nur, dass das niemand so richtig glauben will. Dennoch: Manche lassen sich drauf ein, aber die Mehrheit bleibt.
Der ver.di-Jugendsekretär telefoniert mit dem Versammlungsleiter in der Stadt, damit dieser für unsere „Freilassung“ sorgt. Irgendwann kommt die Meldung über Lautsprecher, dass sich der Demo-Zug in Bewegung gesetzt habe und irgendwo auf uns warte. Und wieder diese hämische Durchsage, dass wir sofort gehen könnten, wenn …
Wir lassen uns nicht entwürdigen, bleiben lieber.
Ich bin froh, dass ich Sonnenmilch, Wasser und Bananen dabei habe und hole mir ein Eis aus dem Bahnhofskiosk. Später hat die Polizei den Zugang zum Kiosk versperrt. Die hatten schließlich ihr Versorgungsfahrzeug dabei und wurden laufend mit Getränken versorgt. Irgendwann war der Gang zum Klo auch nur noch unter Polizeibegleitung möglich. Schikane!
Im Bahnhofsgebäude sah ich plötzlich, wie Polizisten zwei Jugendliche hereinführten, deren Personalien feststellten, sie durchsuchten. Dabei hat die nicht einmal gestört, dass ich sie dabei fotografiert habe. Später hörte ich dann, dass die Polizei gezielt nach zwei Leuten in der Menge suchte und sie festgesetzt habe. Dann die Durchsage: Es werden keine weiteren Festnahmen mehr auf dem Gelände erfolgen.

Ein erneuter Versuch beim Einsatzleiter: Zugriff erfolgt, dann könne man den Rest doch bitte unbehelligt gehen lassen. Ich ernte Kopfschütteln und frage mich, wie lange das noch gehen soll.
Als dann die Meldung kommt, dass der Demo-Zug nicht länger auf uns warten wolle und sich wieder in Bewegung gesetzt habe, fällt mir nur der Begriff „unsolidarisch“ ein und dass hier die Bewegung gespalten wird. Die Polizei dürfte sich gefreut haben, die Nazis haben es zweifelsfrei. Da werden Leute, nur weil sie aus Göttingen kommen, als potentiell gewaltbereite und militante Chaoten dargestellt, die man durchaus der Polizei überlassen kann. Dass es sich bei diesen Gewalttätern unter anderem um SPD-Mitglieder, Grüne und Gewerkschafter handelt, hat anscheinend niemand bemerkt. Oder wollte es nicht.
Wenn die uns nicht auf ihrer Demo wollen, dann eben nicht. Die Verständigung untereinander klappt, man kennt sich schließlich. Konsens ist, dass wir nach wie vor nicht den Inhalt unserer Rucksäcke der Polizei präsentieren wollen, sondern lieber zurück nach Göttingen fahren werden. Und wieder ein Gespräch mit dem Einsatzleiter. Ich teile ihm mit, dass wir alle den nächsten Zug nach Göttingen nehmen würden. Bedingung: Keine Durchsuchungen und auch keine Durchsuchungen in Göttingen. Wir bekommen „freies Geleit“, allerdings mit der Auflage, dass ein Trupp der Bundespolizei im Zug mitfährt.
Nach vier Stunden verlassen wir endlich den an diesem Tag wohl merkwürdigsten Ort Südniedersachsens – um einige Erfahrungen reicher und trotzdem einigermaßen gut gelaunt.

An dieser Stelle könnte die Geschichte zu Ende sein … wenn wir nicht in Göttingen angekommen wären.
Gleich auf dem Bahnsteig wartete Polizei und griff sich ein oder zwei Personen aus der Menge. Erneutes Gerangel, Sprechchöre („Haut ab“) und ein mulmiges Gefühl. Unten im Bahnhof auch aufgereihte PolizistInnen … und dann die Überraschung am Ausgang: Schon wieder eingekesselt. Links und rechts vom Eingang standen Fahrzeuge dicht an dicht, etwa 20 m vor dem Eingang eine undurchdringliche Reihe Polizei.
(Anekdote am Rande: Als ich aus dem Bahnhof kam, winkte mich ein Polizist zu sich und bot mir an, zwischen den Fahrzeugen schnell rauszugehen. Ich sagte ihm, dass ich mich als SPD-Vorsitzender irgendwie für meine GenossInnen zuständig fühle und nicht einfach abhauen wolle. Das schien ihm nicht zu gefallen. Er fragte mich nach meinem Namen und verschwand. Durchlass bekam ich darauf natürlich nicht mehr, seine Kollegin sah recht energisch aus.)
Jegliches Einreden auf die Polizei („Ich will nach Hause, weiter nichts.“) half nicht, vom Northeimer in den Göttinger Kessel. Und dann die perfideste Aktion, die ich je erlebt habe: Über Lautsprecher kam die Durchsage, dass wir gehen könnten, wenn wir eine Demo machen wollten. Es müsse nur ein Verantwortlicher benannt werden, die Strecke habe die Polizei uns schon rausgesucht. Ich weiß nicht, wer dieses Risiko mit der Verantwortlichkeit auf sich genommen hat, aber plötzlich wurden die Reihen geöffnet und wir kamen alle raus.
Auf Demo hatte ich keine Lust mehr. Ich fuhr nach Hause.

Und wenigstens jetzt hätte die Sache für mich persönlich noch ein einigermaßen zu verkraftendes Ende gehabt, wenn nicht …

… plötzlich ein Anruf von einigen Jusos kam, die noch an der Demo in Göttingen teilgenommen hatten. Sinngemäß etwa „Die Bullen haben uns in der Roten Straße zusammengetrieben und wenden Gewalt an. Wir haben uns in eins der Häuser geflüchtet. Hol’ uns bitte hier raus!“
Als Ehrenvorsitzender der Jusos ist man in solch einer Situation natürlich gefordert. Als ich – schnell mit dem Auto – in der Roten Straße ankam, war die Luft allerdings wieder rein. Lediglich sieben PolizistInnen standen noch an der Ecke zur Wendenstraße und langweilten sich.

Mein persönliches Fazit von diesem Tag:

1. Das Niedersächsische Versammlungsgesetz ist offenbar ein Ermächtigungsgesetz für einen Polizeistaat. Bei dem Innenminister eigentlich kein Wunder.

2. Das Northeimer Bündnis hat anscheinend lieber die CDU mit auf der Demo gehabt als irgendwelche Göttinger, egal, ob diese nun von der SPD, der IG Metall, ver.di, den Grünen oder der A.L.I. kommen.

3. Das Göttinger Bündnis sollte sich schleunigst um eine Aufarbeitung kümmern.

4. Zur nächsten Demo fahre ich mit dem Fahrrad. Ohne Rucksack.